Die ökumenischen Labyrinthe
Manfred Richter, Berlin, DCG
Labyrinthe in des Comenius ökumenischem Denken
Gruß an das Colloquium in Uherský Brod September 2022
über „die Labyrinthe des Comenius“
Liebe Freundinnen und Freunde des Comenius,
ich grüße Sie aus Berlin und bin in Gedanken bei Ihnen, die Sie sich erneut im Comenius-Museum in Uherský Brod zum Gedankenaustausch treffen. Gewiss sind Sie wie gewohnt aus verschiedenen Ländern wieder hier in des Jan Amos Komenský Heimat zusammengekommen: zwischen Böhmen und Ungarn, Polen und der Slowakei in seiner geliebten mährischen Landschaft, der er eine erste kartographische Zeichnung gewidmet hat.
Ich danke meinem Freund Petr, dass er es übernommen hat, meinen kleinen Beitrag zum Konferenzthema hier in Deutsch vorzutragen - eine Sprache, die er, wie auch unser Meister Comenius, vorzüglich beherrscht, wie ich weiß.
I
Sofort war ich überzeugt, dass es ein sehr gut gewähltes Thema ist, das Sie vorgeben: wir sind eingeladen, die Weltsicht des Autors von das „Labyrinth der Welt“ auf ihn selber, deinen Lebensweg und sein Werk, anzuwenden. Und sogleich stand mir vor Augen, wie sehr sich das Thema auch an dem Aspekt seines Werks nachweisen lässt, mit dem ich mich als Theologe besonders befasst habe: mit seinen Bemühungen um eine Verständigung der in ihren Glaubensfragen so zerstrittenen Christenheit – ein Thema, das, wie damals, heute noch immer und erneut von allerhöchster Dringlichkeit ist. Ich schreibe dies nieder wenige Wochen bevor die nächste große Versammlung der Christenheit stattfinden wird - die XI. Vollversammlung des Weltrats der Kirchen mit Sitz in Genf, die sich nach langer Zeit wieder in Europa, in Karlsruhe treffen will.
Hierbei kann ich – auch zu meinem Aspekt - anknüpfen an Bemerkungen in seinem eigenen Lebensrückblick in „Unum necessarium“, 12. Kapitel. Hier spiegelt er sich selbst, wenn er selbstkritisch ausdrücklich und wörtlich von den „Labyrinthen“ redet, in die er sich begeben hat - in deren verwirrender Vielfalt man sich auch verirren konnte, in Gefahr, den Ariadne-Faden zum Ausweg zu verlieren, um im Bild des Labyrinths zu bleiben. So, dass er nun an seinem Lebensende sagt: nicht die Vielzahl der Labyrinthe, in die ich mich begeben hatte, ist das Wesentliche - sondern nur „Eins ist not“: nur das, was das Zentrale ist, das ist notwendig. Das sagt ihm und uns das Wort der Mahnung Jesu, im Lukasevangelium 10,42, das er seinem Buch vorausstellt und ihm den Titel gibt.
Was sagt er hier zu unserem Thema der „Irenik“- wir würden heute sagen: des Ökumenischen? Er zählt es ja eigens auf als eines unter den verschiedenen Labyrinthen im Gesamtlabyrinth der Welt, in deren Irrwege er sich begeben hatte. Hier nennt er es sogleich nach dem Didaktischen, den Labyrinthen der Schulen und Lehrmethoden, als das zweite Thema das ihm lebenslang wichtig war und Mühe bereitet hat. An anderer Stelle spricht er von seinen Wechselfällen beim Thema der Prophetien (was bei ihm und in seiner Zeit ziemlich nahe an dem des Politischen zu stehen kam).
Auch hätte er hier ausführen können erwähnen können seine Verstrickungen in Auseinandersetzungen mit den Sozinianern. Von welchen er übrigens das des Irenischen klar unterscheidet: diese spielt sich innerhalb der trinitarisch geprägten Gesamtchristenheit ab, die er gegenüber der rationalistischen Neuerung der Antitrinitarier vielmehr lebhaft verteidigt. Aus gesamtchristlicher Sicht bräuchte er diese keineswegs zu bedauern. Er erwies sich hierbei - ohne einen Auftrag dazu zu haben und auch ohne je dafür Anerkennung, gar ein Lob von der Seite der übrigen Kirchen zu erhalten, als ein Verteidiger der zentralen Lehrtradition des Christentums. Und dies sogar mit sehr spezifischen, originalen Argumentationen.
Freilich, so denken wir doch wohl alle, bräuchte er sich auch seiner didaktischen Labyrinthe keineswegs zu schämen. Was würde uns - und der ganzen Geschichte der Pädagogik - doch fehlen, wenn wir die Ergebnisse seines Ringens auf diesem Gebiet nicht hätten: der Grundlegung von Pädagogik als Wissenschaft eigener Dignität, wie es Jan Patočka herausgestellt hat; und der großartigen, jahrhundertelang so erfolgreichen Lehrbücher: unsere Kulturgeschichte ohne den „Orbis pictus“ - undenkbar!
Merkwürdig aber ist nun, dass er von all diesen so wichtigen Bereichen seines Lebenswerks nur bei einem selber andeutet, dass er sich seiner Labyrinthe in diesem Bereich nicht schäme, so sehr sie auch stets verkannt und ihm sogar vorgeworfen wurden. Er schreibt dazu (S 148f. der Ausgabe 1998): „Ein zweites Labyrinth, in dem ich lange herumirrte, war mein Bemühen, Frieden zu stiften. Ich habe viel gearbeitet, um meinen Wunsch zu erfüllen, die Christen miteinander zu versöhnen, die sich in unterschiedlicher Weise, sich selbst zum Schaden und Verderben, um Glaubensfragen streiten.“ Und dann fügt er hinzu: „Bis jetzt hatte meine Arbeit kaum Erfolg. Aber vielleicht wird sie noch Früchte tragen“. Hier deutet er an, dass diese Hoffnung mit seinem „Buch“ („mein Werk“, also der Consultatio) zu tun, hat, welches den so nötigen Ariadnefaden anbieten würde. Dessen Erscheinen bislang „wegen der bitteren Unversöhnlichkeit“ und durch den „unversöhnlichen Hass“ nicht möglich war.
Angesichts also der zentralen Bedeutung der Irenik für sein Gesamtwerk möchte ich
seinen Labyrinthen auf diesem Gebiet einmal in knapper Übersicht nachgehen (II),
um dann zu fragen, inwiefern gerade diese Bemühungen - einschließlich unvermeidlicher Irrwege für ihn so zentral waren (III),
um schließlich zu prüfen, ob sich deren Ertrag denn auch in heutiger Weltsituation bemerkbar macht oder machen könnte (IV).
Zum Abschluss sei noch eine Bemerkung gemacht im Blick darauf, dass Comenius in seiner allegorischen, im „Untergrund“ geschriebenen gleichsam „Samisdat" - Dichtung ja nicht nur vom „Labyrinth der Welt“ spricht, sondern auch vom (tschechisch eigentlich) „Lusthaus“ oder – „Paradies des Herzens“ (V) – was nicht ganz zu vergessen ist angesichts des Übergewichts der „Labyrinthe".
II
Ein Überblick:
1 Religion im Dienst der fürstlichen Konfessionspolitik (Herborn, Heidelberg 1611-1613)
2 Religion als Macht des Antichristen oder im Untergrund (Böhmen-Mähren 1616ff.)
3 Religion und Didaktik (Leszno 1628ff., Elbing 1648, Saros Patak 1650ff.)
4 Religion und Wissenschaft: Pansophie (Leszno 1637ff., London 1641f.)
5 Religions-Irenik: Dialog Katholisch-Evangelisch in jener Zeit! (Elbing1642ff., Thorn 1645)
6 Religion als Resignation an der eigenen und als Vision der erneuerten Kirche (Leszno 1650)
7 Religion als Kriegsgrund für Gewissensfreiheit? (Saros Patak 1650-1654, Leszno 1656)
8 Religion als Apologetik des Christentums (Amsterdam 1956ff.)
9 Religion als Friedensethik (Amsterdam 1956ff: Breda, Regensburg u. a.)
1 Religion im Dienst der fürstlichen Konfessionspolitik (Herborn, Heidelberg 1611-1613)
Schon in seiner Kindheit hatte Jan Komenský (den Beinamen Amos gab er sich erst in Přerov) die Vorboten der kommenden kriegerischen und religiösen Auseinandersetzungen in seinem heimatlichen Grenz-Land erlebt, so dass er früh Waise geworden war. Nur durch kluge Leitung seines örtlichen Brüderbischofs Lánecký kam er zur Lateinschule und dann zu universitärer Ausbildung nach Deutschland. Im Laufe seines Lebens wird sich ihm Religion in immer neuen Perspektiven darstellen, mit denen er sich auseinanderzusetzen hatte.
Die Brüder hatten sich nach Luthers und des Bischofs Jan Augusta's Tod den reformierten Traditionen näher angeschlossen. So kam er an die calvinistisch geprägten Hochschulen in Herborn und Heidelberg (welch letztere kurz zuvor noch lutherisch gewesen war, bei Konfessionswechsel des Fürsten aber reformiert wurde – die bisherigen Professoren hatten Stadt und Land zu verlassen). Unter den Professoren, die ihn wesentlich prägten, gab es z. T. eschatologische Endzeiterwartungen, die Comenius aufnahm. Andererseits politisch-religiöse Unionsbestrebungen, die die Protestanten gegen die bedrohlich gewordene katholische Gegenreformation zusammenführen sollten, auch in Unterstützung politischer Pläne des Kurfürsten Friedrich – des später von den Ständen gewählten aber gegen Habsburg gescheiterten sog. „Winterkönigs“. Erste Erfahrungen machte also der junge Priesterkandidat mit den Labyrinthen der Religion in deren engster Verflochtenheit mit denen der Politischen - anders war Religion damals nicht denkbar. Das war selbst an der Theologie an der Universität, die ebenfalls im Strudel der Religionskonflikte stand, zu erleben. Und es führte zu der bekannten Katastrophe auch der Brüderkirche, die sich gerade und erstmals entgegen ihrer langen ganz un-politischen Tradition, 1618ff. auch politisch für Religionsfreiheit eingesetzt hatte.
2 Religion als Macht des Antichrist oder im Untergrund (Böhmen-Mähren 1616ff.)
Zurückgekehrt erlebte er schon in seiner Zeit als frisch gebackener Leiter seiner früheren Schule in Přerov die wachsende Gefährdung des gerade erst und endlich 1609 erreichten Religionsfriedens in Böhmen-Mähren durch die von den aggressiven Tendenzen der böhmischen Jesuiten bestimmte Religionspolitik Habsburgs. Das veranlasste ihn zur Beteiligung an einer vor dieser warnenden Schrift mit dem Titel „Retunk protí Antikristu“. Hier wird das hoch- und spätmittelalterliche, kirchenkritische Motiv des „Antichrist“, aufgenommen. Es hatte sich in franziskanischen Kreisen gebildet, gerichtet gegen die geradezu gottgleiche Machtfülle des Papstamtes wie sie seit dem III. Laterankonzil, 2015, gegeben und in Anspruch genommen wurde, und war seither von verschiedenen, bald als häretisch ausgeschlossenen kirchlichen Erneuerungsbestrebungen, einschließlich der wiclifitischen und der hussitischen, immer wieder gegen die römische Unterdrückung alternativer Strömungen vorgebracht worden. Das war zuletzt der Fall auch bei Martin Luther, als ihm wegen der 95 Thesen von 1517 die päpstliche Bannbulle angedroht wurde. Hier nun bei Comenius und Freunden - es ist etwa 1616 - wird der Antichrist-Vorwurf aufgegriffen zur polemischen Markierung der von Rom aus dirigierten Habsburger Machtpolitik gegenüber den evangelischen Richtungen in Böhmen-Mähren.
Obgleich diese rein aus der Antithese gegenüber Rom gedachte Position gewiss zunächst weiterhin für ihn gültig blieb, zumal auch er ja durch die bereits bald erfolgte Vertreibung der evangelischen Prediger jeder Art in den Untergrund getrieben war, hat er im „Labyrinth der Welt“ - es ist nun 1624 - erstaunlicherweise wie alle anderen religiösen Richtungen so auch die katholische Frömmigkeit nicht nur negativ und die evangelische nicht nur positiv geschildert, sondern beiden auch ihre negativen Kehrseiten vorgehalten. Seine eigene Kirche freilich hat er wohl im „Lusthaus des Herzens“ gesehen.
3 Religion und Didaktik (Leszno 1628ff., auch Elbing 1648, Saros Patak 1650ff.)
Im neuen Exilort Leszno, 1628ff., ging es bald darum, dass er am dortigen brüderischen Gymnasium nicht nur mit den vorhandenen Brüderkollegen gut auskam, sondern ein auch für die lutherischen Familien verbindlicher und vertrauensvoller Partner wurde - auch das damals nicht selbstverständlich. Darüber hinaus wurde Leszno in gewisser Weise überhaupt ein für die Zeit ziemlich singulärer Ort friedlichen interkonfessionellen Nebeneinanders, wozu die hier seit der Konversion zur Brüdergemeine durch Graf Rafał V. fast dominant zu nennende Rolle der Brüderkirche gewiss beitrug.
Sein Schwerpunkt hier war bald die ungeheuer erfolgreiche Arbeit an den Sprachenlehren und generell an der Didaktik, die zugleich die Strategie für das erhoffte Wiedererrichten des verlorenen böhmischen Paradieses war. Die Religion war integraler Teil der Lehrbücher einschließlich der „Mutterschul“, also der kindlichen Früherziehung, und wie am schönsten zu sehen dann im Orbis pictus: religiöse und „welt-kundliche“ Unterweisung gehen so selbstverständlich wie zwanglos notwendig miteinander. Ganz unpolemisch und traditionell ist auch sein Katechismus gehalten (einer für deutschsprachige Brüdergemeinen ist darunter!) wie denn auch sprachlich einfache, so schöne wie würdige Gesänge aus seiner Feder flossen. Solche Didaktik würde, so hoffte er, solange man mit baldiger Rückkehr rechnete, das Wiedererstehen des „böhmischen Paradieses“ bewirken.
4 Religion und Wissenschaft: Pansophie (Leszno 1637ff., London 1641f.)
Aus seiner didaktischen Arbeit - eben aufgrund ihrer ganzheitlich das Leben und die Orientierung in der Welt betreffenden Intention - erwuchs seine Wissenschaftstheorie, der er den Kunstnamen „Pansophie“ gab. Dass hier sein religiöses Verständnis der Welt wesentlich mit im Spiel ist, sagt er ausdrücklich. Schon m Physiklehrbuch grenzte er sich von überkommenen aristotelischen Naturbegriffen ab im Rückgriff auf seine von ihm „Mosaische Physik“ genannte Naturlehre.
Wesentlich wurde ihm aber die Erkenntnis einer Triade, die alles durchwirke und zur Harmonie verbinde. Er fand sie allenthalben - in den „drei Büchern“ aller Erkenntnis (Natur – Offenbarung – menschlicher Geist) wie in der Grammatik der Sprache (Subjekt, Objekt, Kopula) und sah sie als Abspiegelung des christlichen, trinitarisch gedachten Schöpfers. Von hier aus geht seine Suche nach einer umfassenden Theorie, die er später ausarbeiten wird - die Suche nach einer philosophia und politia wie eben auch theologia „vere catholica“.
Er nimmt hier den Streit mit den Großen der Philosophie auf - sowohl mit der aristotelischen wie später auch der cartesianischen oder Bacon'schen Philosophie (dann auch der der Royal Society). Er begibt sich also wahrlich in die Höhlen der Löwen der Zeit - was ihm andererseits viel Zuspruch und den Ruf nach London einbringt, um dort über seine Akademiepläne zu sprechen. Diese sahen vor, Gelehrte aus allen Sparten, sogar aber auch aus allen Religionen – damals unerhört! - zusammenzuführen. Auch eine Einladung zu dem sonst so menschenscheuen Descartes in den Niederlanden folgte. Zugleich aber zog er so das Interesse des ebenfalls gelehrten Pater Magni auf sich, mit dem wir das nächste Labyrinth betreten, das kirchenpolitische.
5 Religions-Irenik: Ein Katholisch-Evangelischer Dialog in jener Zeit! (Elbing1642ff., Thorn 1645)
Die Umstände habe ich in meiner Monographie zu des Comenius Beitrag zum „Colloquium Charitativum“ 1645 ausführlich dargestellt (Siedlce 2013, Münster 2018). Es geht um einen Versuch des polnischen Königs Władysław IV. durch ein solches Kolloquium zu klären, wie ein friedliches Zusammenleben der evangelischen starken Minderheiten (ca. 20%) mit der katholischen Majorität (ca. 55%) im multikonfessionellen Polen (mit den weiteren starken Minderheiten der zweierlei Orthodoxen und der Juden) ermöglicht werden könnte. Hierzu wurde er beraten durch den Mailänder Kapuzinerpater Massimiliano Magni, der als „apostolischer Missionar des Nordens“ eine betont anti-jesuitische Strategie verfolgte, nämlich eine Bekehrung der Protestanten zu erreichen nicht durch Gewalt, sondern durch Überzeugung. „Persuadere con ragioni“ – „Überzeugen durch vernünftige Gründe“ war sein Motto. Durch einen Mittelsmann ließ er Comenius als Partner auf evangelischer Seite ansprechen.
Comenius war frisch aus den Gesprächen in London, wohin man ihn wegen seiner neuen „pansophischen“ Wissenschaftstheorie und seiner Akademie-Gedanken eingeladen hatte, zurückgekehrt. Er war in Elbing ansässig geworden, damals schwedisch besetzt, da er in schwedische Dienste zur dort geplanten Schulreform eingetreten war. Pater Magni nun, selbst hochrangiger Wissenschaftler, schätzte ihn als geeigneten Partner für sein Projekt ein: wissenschaftlich als Vertreter einer neuen, anti-aristotelischen Philosophie, die auch er im Gegensatz zu den Jesuiten anstrebte. Außerdem meinte er, nicht zu Unrecht, dass Comenius die erheblichen Widerstände der Protestanten (sowohl der Lutheraner wie der Reformierten und nicht zuletzt in seiner eigenen Kirche) gegen eine Beteiligung an dem heiklen Vorhaben dieses vom König gewünschten Kolloquiums überwinden könnte - mussten sie doch bei einem Scheitern mit einer Verschlechterung statt einer Verbesserung der Lage rechnen.
Das Scheitern war damals letztlich unausweichlich, obgleich Comenius auf ein Gelingen hoffte. Doch diente das Kolloquium der Klärung einiger Fragen. Zunächst ging es um Protokollfragen wie: wer führt den Vorsitz (im Auftrag des Königs)? Wie spricht man sich gegenseitig an (man einigte sich auf „Domine“, Herr!)? Welche Sitzordnung der Delegierten soll sein? Wie wird protokolliert? Dafür fand man Lösungen: trilateral, nicht bilateral, wie der König und die anderen anfangs meinten - der Lutheraner wegen, die eine eigene Position einnehmen wollten.
Sodann ging es um inhaltliche Fragen, wie die
ob man zusammen beten könne? Das lehnten nur die Lutheraner ab, nicht die Römer und nicht die Reformierten und die Brüder (die mit diesen eine Fraktion bildeten, welche Comenius beriet);
hauptsächlich ging es um die Frage der Autorität in der Kirche: ist es die der Bibel selbst oder ist es die der Kirche in ihrer Auslegung durch Konzilien und Papst? Hier waren die Protestanten einig gegenüber den „Römisch-Katholischen“ ich muss es so sagen, weil das Konzil von Trient die „Romanitas“ betont hatte, aber auch stand die Frage im Raum:
wer sich „katholisch“ nennen dürfe? Das nahmen alle drei Konfessionen in Anspruch - und das müssen ja auch alle sein bzw. erst richtig werden!
In den abschließenden Protokollen (die entgegen der Absprache nicht gemeinsam veröffentlicht wurden, was die katholische Seite verhinderte) nannten sich also die Protestanten je „lutherische katholische Kirche“ und „reformierte katholische Kirche“: alle drei Seiten beanspruchten, „die ganze Wahrheit“ und, diese je nur alleine zu besitzen! Daraus musste Comenius folgern: das kann nur durch weitere „Konsultation“, also durch Beratungsprozesse, geklärt werden. Einen solche hatte er im schriftlichen Dialog mit Magni schon begonnen, der dann aber abgebrochen war, da sich Magni auf eine rein römisch-katholische Argumentation zurückzog. Es muss aber, so Comenius, eine „Consultatio vere catholica“ sein. Nur eine solche kann zur Behebung der christlichen Streitigkeiten, der „de Fide christiana Dissidia“ führen und zur „Verbesserung“ auch der kirchlichen Angelegenheiten, zur Emendatio auch „rerum ecclesiasticarum“!
Immerhin endete man in Thorn mit gegenseitigen guten Wünschen - nicht mit Verdammung(en), wie bis dato üblich. Abgesehen von der Bedeutung dieses letzten ernsthaften interkonfessionellen Religionsgesprächs vor der neueren Zeit halte ich die zuvor entstandenen Schriften des Comenius für das wichtiger Ergebnis dieser Bemühungen. Sie hatten bereits zuvor erheblichen Einfluss auf den Geist des versuchten Miteinanders in Thorn. Insbesondere war Comenius hier um mentale und sprachliche „geistliche Abrüstung“ beider Seiten bemüht. Und hier fordert er - obgleich er durchaus sachliche Gründe in der Sache für die Bezeichnung „Antichrist“ für den Papst sieht (nämlich die Ähnlichkeit seiner Machtansprüche zur Charakterisierung des „Antichrist“ in 2. Thess. 2,4) - dass man von gegenseitigen Vorwürfen Abstand nehme wie, die anderen seien „Antichristen“ oder „Ketzer“. Und er fordert, gegen alle Ängste, Eigenes zu verlieren, das Vertrauen ein, dass sich die Wahrheit durchsetzen werde. Davon würden Alle großen Gewinn davontragen und sich am Ende mit Stolz und Freude der wiedergewonnenen Gemeinschaft erfreuen.
Es geht um insgesamt sechs Schriften, von H.-J. Müller unter dem Titel „De Regula Fidei Judicium duplex“ 2003 herausgegeben, kurz genannt „Irenica“. Sie haben weder in der Forschung, auch nicht in der Comeniologie, noch in der kirchlichen Praxis oder der ökumenischen Bewegung bislang die ihnen, wie ich meine, zukommende Beachtung gefunden.
Hierbei erarbeitete Comenius in dem dezidiert „freundschaftlichen“ Dialog mit Pater Valeriano (wie dieser sich mit Mönchsnamen nannte) – er schreibt als „amicus amico“ - ein Konzept einer gewissermaßen „rationalen“ christlichen Religionsbegründung - beide wollten ja argumentieren „con ragioni“, d. h. mit logischer Stringenz, wobei für beide die biblische Offenbarung in der Hl. Schrift (hier von beiden genannt als die „regula fidei“) vorausgesetzt war. Der Beweisgang endet bei Comenius in der rhetorisch zugespitzten Gegenüberstellung: „Er sagte“ (nämlich Gott in der Hl. Schrift) gegenüber „Sie sagte“ (nämlich die Kirche in der päpstlichen Lehre).
In diesem Zusammenhang, und zwar schon kurz vor dem Treffen in Thorn Ende August 1645, taucht erstmals der Begriff einer „synodos oecumenica“ auf, in der sich die Christen miteinander verständigen müssten, aber eben auch könnten. Gedacht war dies exemplarisch in Polen, später weltweit! Und es zeichnet sich hier, im Frühjahr 1645 in einem Brief an seinen darob missmutigen Sponsor Louis de Geer in Schweden, erstmals das Gesamtkonzept ab: „De rerum humanarum emendatione Consultatio catholica“ ab. An ihm arbeitete er hinfort weiter trotz des Scheiterns in Thorn und neben allen anderen Verpflichtungen.
Vermutlich entstand gleich hiernach eine verschollene Schrift, wohl dem König gewidmet im Gedanken, er solle seine Bemühungen um die Religionsverständigung nicht aufgeben: „Christianismus reconciliabilis, reconciliatore Christo“. Besser kann man das Programm der Irenik, des Ökumenismus also, nicht auf den Begriff bringen.
6 Religion als Resignation an der eigenen Kirche und als Vision der erneuerten (Leszno 1650)
Freilich verursachte der Thorner Misserfolg zunächst eine Unterbrechung, hatte er doch auch die begonnenen didaktischen Arbeiten in Elbing noch abzuschließen, die er dann ohne Unterstützung Schwedens selber zum Druck bringen musste. Doch musste er (nach Rückkehr mit seiner todkranken Frau Cyrillová nach Leszno) mit dem Westfälischen Frieden von 1648 und dem sich anschließenden Rückzug Schwedens aus Mitteleuropa bis 1650 das Ende aller auch politischen Hoffnungen auf die Rückkehr der böhmischen Exulanten in die Heimat begraben.
Hier kommt es bei ihm zu einer Resignation der Hoffnung auf eine Fortsetzung der selbständigen brüderkirchlichen Existenz. In seiner Schrift von 1650 spricht er sie aus: „Das Testament der sterbenden Mutter, der Kirche“. Hier empfehlt er den brüderischen Priestern, das Beste der eigenen Tradition einzubringen in andere Kirchen - denen allen er aber auch ihre Schwächen vorwirft. Die geringsten Chancen dafür sieht er bei der römischen Kirche, die sich zwar „Mutter Kirche“ nennt, aber - einer blutdürstigen Leopardin vergleichbar - das Blut ihrer eigenen Kinder vergießt.
Hier ist aber der kirchengeschichtlich m. E. noch nie dagewesene Vorgang wichtig, dass er das Ende des eigenen Kirchentums - also überhaupt so etwas wie das Ende einer bestimmten Kirche! - ins Auge fasst, „weil Gott etwas Neues will“. Dieser grundlegende, ja grundstürzende Gedanke hängt bei ihm mit seiner eigentümlichen geschichtlichen Naherwartung zusammen, in deren Horizont er auch letztlich sein Hauptwerk ausarbeitet im Blick auf eine Erneuerung der gesamten Kirche. Es ist also ein für ihn zwar schmerzlicher, aber nicht nur resignativer Gedanke. Vielmehr ist er, meine ich, eher exemplarisch für die Erwartung an alle Kirchen zu sehen, sich zugunsten dessen, was Gott werden lassen will, in ihrer bisherigen Verfasstheit selbst dranzugeben!
Schon darin ist er ein eigentlicher Vordenker der Ökumene - denn: hat sich nicht die Kirche schon immer in einer Vielfalt von Gestaltungen gezeigt - und muss sich nicht die Gestalt aller Kirchen stets ändern, wie dies seit jeher der Fall war – durch stets neu anstehende Reformen, Reformationen und auch Verbindungen neuer Art? Das auch auszusprechen wagen sie freilich kaum jemals.
7 Religion als Kriegsgrund für Gewissensfreiheit? (Saros Patak 1650-1564, Leszno 1656)
Im folgenden Zeitraum verwickelt er sich in das vielleicht problematischste seiner Labyrinthe. Er richtet seine Hoffnung auf eine große politische Anti-Habsburg-Koalition, von Siebenbürgen, wozu er den Fürsten bestimmen wollte, bis zu protestantischen Mächten im Norden (der junge Sigmund hatte eine Tochter des gescheiterten Winterkönigs Friedrich und seiner Frau Elisabeth, eine Enkelin eines englischen Königs also, zur Gattin, doch starben beide früh). In dieser Zeit ist sowohl sein bisheriger Haupt - Gesprächspartner Magni, den er noch und erstmals traf, aber nur zu philosophischen Fragen, wie auch der auf Religionsfrieden gestimmte polnische König gestorben. Jetzt ist es offensichtlich, dass er von der römisch-katholischen Kirche, wegen ihrer unverbrüchlichen Verbundenheit mit der Politik Habsburgs nichts mehr erwartet, während Magni und der polnische König das Religionsgespräch gegen den Willen Roms durchsetzten.
Unglücklicherweise lässt er sich von einem einstigen Schulkameraden, dem falschen „Propheten“ Drabík, betören, auf eine Wende der Dinge - den Sturz des Habsburgischen Kaisermacht - zu hoffen, selbst noch als sich dessen Vorhersagen bereits als Fakes erwiesen hatten.
Als dann im polnisch -schwedischen Nachfolgekrieg zunächst ein schwedischer Fürst, Karl XII. Gustav, sich durchzusetzen schien, war seine Hoffnung auf einen erneuten Wechsel zum Guten in der polnischen Religionspolitik groß. Seine (zunächst anonyme) Hommage an den schwedischen lutherischen Fürsten (1656), wenngleich mit einer Belobigung der noch bestehenden polnischen -gegenüber Schweden (!) oder Habsburg viel größeren - Religionsfreiheit, wurde ihm dennoch schlecht ausgelegt: dabei war sie anti-habsburgisch, nicht anti-polnisch gemeint, wie ihm von national-katholischen polnischen Stimmen immer wieder vorgehalten wurde, was aber heute von Jolanta Dworzackowa u. a. klar widerlegt worden ist. Katholische Freischärler zerstörten das multikonfessionelle Leszno und des Comenius Manuskripte verbrannten zum allergrößten Teil - darunter schon fertiggestellte Teile der Consultatio! Nur mit Mühe gelang sein und seiner Familie Überleben.
8 Religion als Apologetik des Christentums (Amsterdam 1956ff.)
Nach diesen politisch-prophetischen „Labyrinthen“ auch seines ökumenischen Bemühens setzt er seine Arbeit an dem zentralen Thema seines allerdings ja umfassend angelegten Weltverbesserungskonzepts - „emendatio rerum humanarum“ - im neuen Exil zu Amsterdam fort, mit seiner Familie vom jungen Laurentius de Geer erneut gesponsert. Das beginnt mit der erstaunlichen Neuherausgabe einiger seiner irenischen Schriften aus der Vorbereitungszeit von Thorn, gleich nach dem Druck der didaktischen Werke in 1656 bereits 1658! Und das, obgleich in den calvinistisch geprägten Niederlanden völlig andere Religionsverhältnisse bestanden und man keine Veranlassung hatte - nach den Befreiungskriegen gegenüber dem anderen Arm Habsburgs, den Spaniern - mit der katholischen Seite ins Gespräch zu kommen. Es war dort überhaupt kein Thema, vielmehr sogar für ihn kontraproduktiv.
Er wollte nun hauptsächlich sein unterbrochenes und verlorengegangenes Hauptwerk fortsetzen. Doch wurde er immer wieder durch andere Aufgaben daran gehindert: so durch die sozinianischen Attacken, die ihn geradezu zwangen zum Apologeten des grundlegenden und allen Konfessionen gemeinsamen christlichen Gottesgedankens zu werden. Dessen trinitarischen Charakter wollte er für die zwischenkonfessionelle Irenik als unumstrittene Basis sicherstellen. Er tat dies – ohne je dafür von den sog. Großkirchen gewürdigt zu werden, und mit eigenen, wirkkräftigen Argumenten, die weit über die traditionelle Dogmatik hinausweisen in die Spurensuche im Kosmos und im menschlichen Geist, wie sie seiner Wissenschaftstheorie entsprachen. So gab er die Schrift eines spätmittelalterlichen Philosophen „Theologia naturalis“ heraus und stellte mit dem Gedanken des „Oculus fidei“ eine triadische Erkenntnistheorie bereit.
9 Religion als Friedensethik (Amsterdam: Breda, Regensburg, späte Notizen)
Er mischte sich auch immer wieder in irenischem Interesse in Auseinandersetzungen zwischen nun noch anderen christlichen Mächten ein, wobei er in neue politisch - ökonomische Labyrinthe geriet: so bei Friedensverhandlungen der gegeneinander einen Seekrieg führenden „protestantischen“ Mächte Holland und England in Breda. Und als ein „seufzender Jeremia“ wendet er sich an den Ständigen Reichstag zu Regensburg mit seinen konfessionell getrennten Mächte - Gruppierungen „Corpus Evangelicorum“ contra „Corpus Catholicorum“. In diesen beiden Fällen geschieht es in friedensethischem, nicht dogmatischem Interesse. Er musste erleben, dass seine Stimme kein Gehör fand.
Auch zur Situation in England äußerte er sich. Er versuchte zwischen den Dissenters, die Cromwell gefördert hatte, und der anglikanischen Kirche, die durch King Charles II. wieder in ihre Position als anerkannte Staatskirche zurückgekehrt war, zu vermitteln. Er lobte deren Ordnung als gelungene Vermittlung zwischen den drei Staatsformen Demokratie, Aristokratie, Monarchie: drohe die erstere allein in Anarchie auszuarten (Dissenters) so die letztere allein in Autokratie (Rom).
In seinen letzten Jahren machte er sich persönliche, nicht veröffentlichte Notizen – „Clamores Eliae“ genannt (in der kappen Auswahl von Jiří Beneš, 1994, leicht greifbar) - in denen es ihm erneut um sein ursprünglichstes Anliegen geht: die Erziehung der Jugend, um so und durch sie in eine „ver-besserte“ Welt zu gelangen. Hier kann er die Jesuiten loben ob ihrer pädagogischen Fähigkeiten und sie auffordern, mit zur irenischen Erziehung der Jugend und damit der Heilung der Schäden der Christenheit beizutragen. Gar fordert er den Papst auf, der sich doch als Hl. Vater für Alle bezeichne, diese Aufgabe zum Wohle wirklich Aller wahrzunehmen. Schließlich meinte er sogar, der bei den Niederlanden ob seiner aggressiven sog. „Re-Unionspolitik“ (kennen wir solche Argumentation nicht gegenwärtig von Russland? und von China?) gefürchtete „Sonnen“-König von Frankreich, der „allerchristlichste“, wie er sich nannte, solle seinen Gedanken zu einem universalen Konzil aufgreifen und dieses einberufen – wie einst ein Kaiser Konstantin.
So eindrucksvoll sein immer neues Bemühen ist - das auch nach zwischenzeitlichen Ermüdungserscheinungen (er musste ja stets auch für seine verfolgten Kirchenglieder sorgen durch Unterstützung von Geldsammlungen, auch im Ausland) immer wieder auflebte - muss man andererseits sagen: Hier in den Niederlanden war er in fast jede nur mögliche Falle getappt. Zuletzt pflegte er noch Kontakt mit weiteren „Außenseitern“, der dortigen früh-pietistischen Bewegung um Annette Bourgignon.
Man versteht, dass er nun verstand, dass die Verwicklung in politische Labyrinthe durch falsches Vertrauen auf scheinbar Hoffnung spendende „Prophetien“ seine irenischen Anliegen samt dem „Buch“ , an dem erarbeitete, mit in die Niederungen der Machtpolitik hineinzog. Dieser Ton des Rückzugs klingt auch im „Unum necessarium“ nach.
Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Unum_necessarium
Das darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, wie es dann im Pietismus in der Tat geschah, als ob er sein „Werk“ insgesamt in Frage stelle: Es soll ja der Welt den „den Ariadnefaden“ liefern, aus ihren Labyrinthen hinauszufinden zum „Einen, das nottut“. Und so lag ihm bis zuletzt daran, dass es auch zur Veröffentlichung gelange.
III
Aber warum nur hat er gerade die irenischen Labyrinthe - im Gegensatz zu allen anderen! - nicht bedauert? Es muss ihm dabei um ein Kernstück seines Vorhabens - der Pansophie gegangen sein.
Dies zeichnete sich bereits ab bei der Entwicklung seiner Wissenschaftstheorie in ihrer ersten Fassung, wie sie durch Hartlib in Oxford 1637ff. veröffentlicht worden ist - „Prodromus pansophiae“ -, ohne dass er die Zustimmung dazu gegeben hatte. Das hatte ihn zu seiner eigenen Überraschung, auf Einladung von dort, nach England geführt, wo man seine Ideen bereits in eine Akademie neuen Stils, seinem Konzept entsprechend, umsetzen wollte. Ein Schloss war dafür bereits freigestellt worden. Es war nur ein Bürgerkrieg, der das Unternehmen sogleich wieder abbrach. Der Grundgedanke solcher Wissenschaftler-Akademie – „collegium lucis“ - blieb aber bestehen, wie er ihn, noch in London, in seiner Schrift „Via Lucis“ (1542) dargelegt hatte.
Wir haben uns erinnert, dass während und also wohl auch sachlich parallel zu der Vorbereitung des Religions-Kolloquiums in Polen das Konzept des späteren Hauptwerks im Entstehen war, weil er es in diesem irenischen Zusammenhang erstmals erwähnte. Es hängt also mit diesem irenischen Anliegen als seinem Kern von vorneherein zusammen.
Es muss hier die Ausarbeitung, wie er sie in den Amsterdamer Jahren schrittweise und von neuem erarbeitete, ohne sie je ganz vollenden zu können, nicht weiter im Einzelnen vorgestellt werden. Nur ist zu bemerken, dass hier bei den drei vorgeschlagenen Gremien, welche die durch „Allgemeine Konsultation“ zu erzielende Weltverbesserung realisieren und dann überwachen sollen, eines - und offenbar das für die zu realisierenden Ordnungsvorstellungen letztlich wohl grundlegende - das „Consistorium sanctitats“ sein soll, in dem sich die gesamte Christenheit zu einer gemeinsamen Leitung vereinigt. Sie solle aber nicht übergriffig – „klerikalistisch“- handeln, sondern im Einvernehmen mit der Wissenschaft und der Politik tätig sein - dem „Collegium lucis“ und dem „Dikasterium pacis“.
Selbstredend ist an den Einzelheiten dieses dann ausgeführten Konzepts aus heutiger Sicht - das war es aber auch schon aus damaliger Sicht - Vieles zu kritisieren als buchstäblich „utopisch“ und in geschichtlicher Zeit auch gar nicht wünschbar, sondern geradezu gefährlich „total-itär“. Daher ist die Mahnung, wie sie etwa Andreas Lischewsksi des Öfteren erhob, keine „Hagiographie“ zu Comenius zu schreiben, insoweit durchaus berechtigt. Nur ist zu berücksichtigen, dass Comenius ja von einem eschatologisch qualifizierteren Augenblick, von der Erwartung der Umwandlung der Dinge überhaupt ausgeht - z. B. auch des Kalenders und der Sprachenvielfalt, was alles mit seinem Naherwartungs-Denken zusammenhängt. Er sah diese Veränderungen als die Parusie Christi vorbereitendes „Tausendjähriges Reich“ auf Erden.
Was bleibt also relevant für uns von seinem irenischen Denken, das aus der Vorstellung der Wiederherstellung der verloren gegangenen Weltharmonie in einer menschliche Sündhaftigkeit überwindende „restitutio ad integrum“ sich speist ?
Meine persönliche Meinung ist, dass drei Aspekte von bleibender Bedeutung sind:
1 Theologisch philosophisch: die Orientierung an der Ganzheit. Sie war für ihn gegeben in der Idee einer Weltharmonie, die für ihn schon durch den Schöpfungsgedanken vorgegeben war. Hierdurch war jedes Einzelne auf das Ganze bezogen und war daher im Maße des Verhältnisses zum Ganzen zu verstehen, was jede Überbetonung eines Detailaspekts, gar eine Selbstverabsolutierung ausschloß. Hierin liegt ein Hinweis für jedes Denken, auch bei anderen Weltanschauungs - Voraussetzungen.
2 Ethisch: ethisch führt dies zur Verpflichtung, den Einklang mit dem – theologisch – philosophisch erhobenen - Ganzen zu suchen, was die Bemühung um die Wiederherstellung der - wie heilsgeschichtlich erkannt und gefordert, aber empirisch erlebt und von ihm nachgewiesen – verlorenen Weltharmonie einschließt. Hierin liegt ein Hinweis für Alle, auch wenn man nicht meint, den Weg zurück/voraus zu einer Weltharmonie beschreiten zu können. –
3 Methodisch: Die Quelle der Erkenntnis sowohl in Fragen der Naturerkenntnis wie des Sozialen und Religiösen sind für ihn die „Drei Bücher Gottes“: Neben der Autorität der Offenbarung in der Hl. Schrift ist es die im „Buch der Natur“ und in dem diesem korrespondierenden „Buch des menschlichen Geistes“. Deren Übereinstimmung erschließt sich im methodischem Dreischritt der analytischen, synthetischen und synkritischen Betrachtungsweise, die Schritt um Schritt das Einzelne ins Ganze zu integrieren hat. Sie liegt führt bei ihm auch literarisch häufig zu Dreifach -Charakterisierungen von Sachverhalten – von ihm letztlich verstanden als Spiegelung und Bewährung des christlichen trinitarischen Gottesgedankens. Hierin liegt ein Hinweis auf die Möglichkeit der Überwindung von antithetischen Positionen durch Suche nach dem verbindenden Dritten – sozusagen zur permanenten Konsultationsbereitschaft - auch für diejenigen, die diese theologisch– weltanschauliche Voraussetzung nicht teilen.
IV
Wie wurde die – wie hier dargestellt: dreifach begründete – Sicht des Comenius in ihrer besonderen Bedeutung und Auswirkung für die „Irenik“, also für das, was wir heute die ökumenische Bewegung der Kirchen nennen, dort aufgenommen?
Dazu muss man zuerst sagen, dass Comenius lange nur als Pädagoge gesehen wurde, kaum je als der Theologe, der er ja, wie er einmal ausdrücklich sagt, auch in der Pädagogik vor allem war. Wohl hat man, wie Herder, seinen Aufruf zu einer friedlicheren Welt gesehen, ihn aber auch schon früh dafür verspottet. Ende des 19. Jahrhunderts haben einige Kommentatoren auch seinen zwischen den protestantischen Konfessionen versöhnlichen Standpunkt erkannt. Nicht aber wurde das durch den Dialog mit der katholischen Seite das irenische Anliegen ins Grundsätzliche erweiternde Bemühen des Comenius erkannt, da man die Notizen in Kvačalas Biographie, 1892, zum Thorner Religionsgespräch nicht weiterverfolgte. Noch die inoffizielle Darstellung der Geschichte der ökumenischen Bewegung durch Rouse – Neill, 1957, die einige Jahre nach der Gründung des Weltrats der Kirchen in Amsterdam, 1948, erschien, kam über allgemeine Hinweise auf Comenius nicht hinaus. Allerdings hatte sich erst jetzt auch die Forschungslage verbessert durch die Herausgabe des Volltextes der Consultatio – Editio Princeps, 1966 – und die umfangreiche Biographie von Milada Blekastad, sowie durch darauffolgende Forschungen auch den Theologen Comenius betreffend, wie in der entsprechenden Sektion des Internationalen Kolloquiums in Prag 1992. Und erst in den 1990er Jahren hat H. J. Müller die näheren Umstände einiger Schriften in der Elbinger Zeit erforscht, veröffentlicht in seiner Dissertzation 2004, was mich zu deren theologischer Analyse motiviert hat.
In Vorworten zu deren Veröffentlichung unter dem Titel „Jan Amos Comenius und das Colloquium Charitativum von Thorn 1645“, 2013/2018, beklagt der ehemalige Generalsekretär des Weltrats der Kirchen, Konrad Raiser, dass die hinreichende Rezeption des Comenius in der ökumenischen Bewegung noch immer ausstehe, wobei er, wie zugleich dort auch Walter Kardinal Kasper, diese übereinstimmend dringend empfehlen.
So ist denn auch in Polen die Erinnerung an das Colloquium in Thorn im Zeitalter der polnischen Religionstoleranz und der Beitrag des Comenius hierzu seither mehrfach von beiden kirchlichen Seiten gewürdigt worden und möge auch dort zur zwischenkirchlichen Entspannung und einer Bereitschaft zu erneutem „irenischem“ Aufbruch analog zu den Zeiten des Thorner Kolloquiums beitragen, zumal eine Kurzfassung meiner Arbeit in Polnisch erscheinen ist – „J. A. Komeński - Zarys źycia i działalnośći“, 2016.
Dass überhaupt Comenius jetzt in der Literatur auch in solchen Zusammenhängen erwähnt wird, mag ein weiteres Zeichen hierfür sein. Meine Veröffentlichung „Der unbekannte Comenius. Ein Bischof fordert – Ökumene radikal“ (2021) enthält, neben zahlreichen Detailstudien, zwei der Elbinger Schriften erstmals auf Deutsch veröffentlicht, in denen er den Konfessionalismus aller Kirchen als „Krätze“, als hässliche, das Antlitz entstellende Krankheit verurteilt. Diese Schrift ist den Vertretern der Weltökumene und den ökumenischen „Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen“ vor Ort gewidmet und den Adressaten in Rom und Genf ebenso wir vor Ort zugegangen.
Nun wurde im Blick auf die nächste Vollversammlung des Weltrats der Kirchen im Frühherbst 2022 ein Memorandum ökumenischer Kreise veröffentlicht - „Aufruf zum Haus der Gemeinschaft christlicher Kichen“, 2022 - welches daraus das Motto des Comenius aufnimmt, dass „Alle, die Christi Namen tragen“, zur Gemeinschaft der Christenheit beitragen können und sollen. Zu den Unterzeichnern gehören die international aktive katholisch-ökumenische „Kirchenvolksbewegung“ „wir sind Kirche“ mit mehreren Tausend aktiven Mitgliedern ebenso wie über zweihundert Institutionen und Einzelpersönlichkeiten, darunter mehrere Comeniologen aus verschiedenen Ländern. Besonders freut mich und dafür danke ich hier sehr herzlich, dass das Comenius – Museum in Uherský Brod mit seinem gesamten Vorstand unterzeichnet hat!
Und, ich ergänze, dass ich soeben, beim Lesen seines neuen Buches „Der Nachmittag des Christentums“ feststellte, dass der katholische Bestseller-Autor Tomaš Halík aus Prag in diesem Buch, das ihm auch gewidmet ist, Papst Franziskus empfiehlt, bei dem von ihm ausgerufenen „synodalen Prozess“ der römisch-katholischen Kirche auf Comenius zu achten: er empfiehlt ihm die für diese „Consultatio“ den Hinweis auf „De rerum humanarum emendatione Consultatio Catholica.“ Ich konnte mich nur bestätigt fühlen in demselben Anliegen.
Dieses hatte ich nämlich gerade ein Jahr zuvor ausgesprochen in meinem Erinnerungsbuch „Pfarrer. Ökumenisch“. Ich war gerade dabei, es abzuschließen, indem ich zuletzt die wegweisende Bedeutung der Forderung des Comenius nach einem konziliaren Prozess für die ökumenische Bewegung heute darlegte. Da erging in diesem Moment der Aufruf des Papstes zum „synodalen Prozess“ der römisch – katholischen Weltkirche! Ich konnte das nur mit großer Zufriedenheit begrüßen, fügte aber im Sinne des Comenius bei: es möge eine Consultatio „vere catholica“ werden: eine echt „katholische“, nicht eine inner-römisch-katholische, sondern eine universal-katholische, christliche Beratung, in der „Rom und Genf“ zusammenwirken, in der „Alle, die Christi Namen tragen“ im Frieden miteinander zur „Verbesserung“ auch „rerum ecclesiasticarum“, auch der kirchlichen Angelegenheiten, beitragen dürfen.
V
Das möge so sein und muss so sein. Und so ersucht das auch von Ihnen und Vielen unterzeichnete Memorandum – und ein weiterer Aufruf „9 Thesen für eine Dekade der Versöhnung“, zu Pfingsten 2022, die auch die russisch-orthodoxe militant-aggressive Selbstüberhöhung zu überwinden fordert - dass die synodalen Beratungen vor Ort, allenthalben in den Kirchen und Gemeinden, und die konziliaren Beratungen auf überregionaler Ebene bis hin zur Welt-Ebene sich mit mutig mit einander verbinden: sich ineinander „verzahnen“ auf das Ziel hin, dass die Christenheit, statt eines Gewirrs von Labyrinthen, sich ver-wandle in so etwas wie „ein Lusthaus des Herzens“ für Viele !
Und dies hoffentlich nicht nur tröstlich im „Untergrund“ - obgleich dies Realität für Millionen Christinnen und Christen bereits heute wieder ist. Sondern, wo immer möglich, in aller Öffentlichkeit und in Bereitschaft zur Mitwirkung an der Gestaltung einer „besseren“ Welt mit einer „besseren Kirche“. Auch wenn uns dafür die Einzelvorschläge des „Buches“ als „Ariadnefaden“ nicht taugen – die Intention, durch vereinte konziliare Konsultation den irenischen Weg zum wie immer möglichen irenischen Ziel zu gehen, ist es allemal. -


